Erich-Kästner-Abend im Palais Rastede: Frank Suchland zieht Publikum in Bann
Von Ursula von Malleck
„Ich setze mich sehr gerne zwischen Stühle. Ich säge an dem Ast, auf dem wir sitzen. Ich gehe durch die Gärten der Gefühle, die tot sind, und bepflanze sie mit Witzen“, schrieb Erich Kästner mit 31 Jahren in seinem Gedicht „Kurz gefasster Lebenslauf“. Diese Selbstcharakterisierung des 1899 in Dresden geborenen Schriftstellers hatte bis zu seinem Tod 1974 Gültigkeit.
Mehr als 50 gebannt lauschende Zuhörer erlebten auf der Soiree im Palais eine bewegenden Reise durch das Leben und Schaffen Erich Kästners, des unbeugsam kritischen Satirikers, der vielen nur als Schöpfer weltberühmter Kinderbücher ein Begriff ist. Kompetenter „Reiseführer“ war der aus Bückeburg kommende Frank Suchland, der sich deutschlandweit als Autor, Komponist und Rezitator einen Namen gemacht hat und der es unvergleichlich verstand, dieses Leben mit Gedichten und Anekdoten auszuschmücken.
Fast plastisch sah das Publikum die ärmlichen Verhältnisse vor sich, in denen Erich Kästner zur Welt kam. Der Vater Emil war Sattlermeister, die Mutter Ida ein Dienstmädchen, die Ehe eine Vernunftehe. Der Sohn, wie sich nach Kästners Tod herausstellte, wohl nicht von Emil, sondern Spross des Hausarztes der Familie. Emil wurde Hoffnungsträger und Zentrum der mütterlichen Liebe. „Ihre gesamte Existenz setzte sie auf eine Karte – auf mich – deshalb musste ich gewinnen.“ Mit 13 Jahren trat Erich ins Lehrerseminar ein, mit 16 wäre er Hilfslehrer geworden. Er bricht die Ausbildung ab, da das Ziel nicht Wissensvermittlung, sondern Drill der Zöglinge war. 1917 wird er zum Militärdienst eingezogen und vom Ausbilder so gequält, dass er ein Herzleiden davonträgt und zum Antimilitaristen wird. Nach dem Krieg besteht er das Abitur mit Auszeichnung und erhält das goldene Stipendium der Stadt Dresden. Bereits während seines Studiums der Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaft in Leipzig betätigt er sich erfolgreich als Journalist und Theaterkritiker. Er promoviert 1925. An „Muttchen“ schickt er die Wäsche und schreibt täglich Postkarten, in denen er auch die pikantesten sexuellen Details seines Lebens berichtet. Wegen des frivolen Gedichts „Nachtgesang des Kammervirtuosen“, das als Affront gegen Beethoven interpretiert wird, kündigt ihm die Neue Leipziger Zeitung die Mitarbeit. Kästner geht nach Berlin, wo er bis zum Ende der Weimarer Republik das wilde und freie Leben der Zeit genießt und zu einem der bedeutendsten Intellektuellen aufsteigt, der frech und kritisch den fest in den Köpfen etablierten harten Drill der Kaiserzeit anprangert: „Funktionieren und gehorchen statt denken und gestalten“. Nach der Machtergreifung der Nazis stehen Kästners Werke auf dem Index. Der Verbrennung seiner Bücher wohnt er persönlich bei – in der Masse versteckt. Kästner setzt sich nicht ins Ausland ab. Er schreibt unter diversen Pseudonymen weiter und verfasst 1942 als „Berthold Bürger“ sogar das Drehbuch zu dem Monumentalfilm „Münchhausen“. Als er 1945 den Hinweis erhält, dass er umgebracht werden soll, geht er mit einem Filmteam nach Tirol, wo er das Kriegsende erlebt. Zurück in Deutschland muss er erkennen, dass eine offene Aufarbeitung der Vergangenheit nicht stattfindet. Wiederbewaffnung und Kalter Krieg setzten ihm zu. Er verfällt mehr und mehr dem Alkohol. Der Kampf gegen den Militarismus blieb bis zuletzt eines seiner wichtigsten Anliegen.
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