Mit ihrer beeindruckenden Rauminstallation „robert-wilhelm h.“ hat die Bremer Künstlerin Silke Mohrhoff den Rasteder Kunstpreis 2017 gewonnen. In einer auf den ersten Blick biedermeierlich anmutenden Wohnzimmerszene offenbart die 45-Jährige die ganze Tragik einer versteckten schwulen Existenz.
Von Britta Lübbers
Starke Szene, bewegende Details, überzeugende Preisträgerin: Zu Recht hat Silke Mohrhoff die alle zwei Jahre vergebene und mit 5000 Euro dotierte Auszeichnung gewonnen. Zwei zweite Preise gingen an Renate Fäth und Alfred Kaufner. Auch der ebenfalls von der Gemeinde Rastede ausgelobte und mit 500 Euro ausgestattete Jugendkunstpreis wurde gesplittet. Erste Preisträgerin ist Gesche Ritschel, den zweiten Preis teilen sich Eva Christina Kircher, Maxime Giulia Müller und Lara Schubert.
Sie brauche immer eine Initialzündung für ihre Werke, sagte Silke Mohrhoff heute bei der überaus gut besuchten Preisverleihung im Palais Rastede. In diesem Fall war es ein roter Ordner, den sie bei einer Freundin entdeckte. Die wiederum hatte die Mappe von einer Haushaltsauflösung mitgebracht. Im Ordner waren homoerotische Fotos abgeheftet, Schwarzweiß-Aufnahmen muskulöser, kaum bekleideter Herren in der typischen Ästhetik der 1950er und 1960er Jahre. Die Bilder gaben den Anstoß, Silke Mohrhoff wollte wissen, was sich dahinter verbarg. Und entdeckte ein verheimlichtes Leben. Der Besitzer der Fotos beherrschte das heterosexuelle Mimikry gut – wie die meisten Schwulen in der Adenauer-Republik. Denn die junge Demokratie hatte den von den Nationalsozialisten verschärften Paragrafen 175 ohne Einschränkungen übernommen. Homosexualität war ein schweres Sittlichkeitsvergehen und wurde mit Zuchthaus bestraft. Das wusste auch „robert-wilhem h.“ (den Namen habe sie sich ausgedacht, erklärte die Künstlerin), er hatte geheiratet und konnte seine wahre Identität – wenn überhaupt – nur heimlich ausleben, immer in der Angst, die Tarnung werde auffliegen. „Es ist unglaublich, was man den Homosexuellen angetan hat, und was man ihnen in vielen Ländern noch heute antut“, sagte die Preisträgerin. „Dabei ging und geht es doch nur um Liebe. Wer kann sich anmaßen, darüber richten zu wollen.“
Die Besucher sind ausdrücklich aufgefordert, auf den Sesseln Platz zu nehmen und das Interieur sowie die Stimmung auf sich wirken zu lassen. „Und dann mussten noch die Tränen in den Raum“, erzählte Silke Mohrhoff. Dazu nähte sie Kissen aus Herrentaschentüchern und bestickte sie mit homophoben Sätzen aus der Bibel und mit Wörtern wie „Kastration“, „Gestapo“ und „Rosa Winkel“. „Das ist es, was Kunst für mich ausmacht, wenn das Betrachten etwas auslöst“, sagte Mohrhoff, die in Minden geboren wurde, an der Hochschule für Künste Ottersberg studierte und als freischaffende Künstlerin in Bremen lebt und arbeitet. Wie kaum ein anderer Beitrag trifft das Wohnzimmer der Selbstverleugnung das diesjährige Kunstpreisthema „Auf den ersten Blick“.
Die Ausstellung mit den Arbeiten der Preisträger und der Nominierten ist noch bis zum 17. Dezember im Palais zu sehen. Passend zum Gezeigten eröffnete Palaisleiterin Dr. Claudia Thoben die Schau mit einem Picasso-Zitat: „Gäbe es nur eine Wahrheit, könnte man nicht 100 Bilder über dasselbe Thema malen.“
Lesen Sie die ausführliche Berichterstattung in der kommenden rasteder rundschau.
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