Viel Applaus für Gregor Gysi in der Meyerei
ak/lü | Geistreich, selbstironisch, humorvoll: Man muss nicht zwingend links sein, um Gregor Gysi gut zu finden. Der gelernte Facharbeiter für Rinderzucht, diplomierte Rechtsanwalt und immer noch aktive Linken-Politiker hat auch Fans, die politisch anders ticken als er und ihn nicht wählen würden. Doch durch seine profunde Expertise, seine Schlagfertigkeit, seinen Witz und sein Charisma kann Gysi parteiübergreifend punkten. Einen entsprechend unterhaltsamen Abend hatten die Gäste, die am Freitag in die ausverkaufte Meyerei nach Kleibrok gekommen waren, um ihn live zu erleben. Der 76-Jährige stellte seine Autobiografie „Ein Leben ist zu wenig“ vor, las aber kaum daraus, sondern sprach frei über Politisches und Privates. Moderiert wurde der Auftritt von Hans-Dieter Schütt. Der Journalist begleitet Gregor Gysi bereits seit vielen Jahren auf dessen Lesungen und fungiert als sein Sidekick. Das war auch in Kleibrok nicht anders. Es gebe kaum einen Politiker, der so viel Kraft und Energie ausstrahle wie Gysi, sagte Schütt zum Auftakt. Und schon war das Duo im bundesrepublikanischen Alltag angelangt, der seinen Bürgerinnen und Bürgern aktuell einiges abverlangt. Zum Beispiel die AfD. Hier hatte Gysi eine klare Position: „Wir sollten nicht darüber reden, was die AfD falsch macht, wir müssen darüber sprechen, was wir falsch machen.“ Dass Selbsterkenntnis hartes Brot sein kann und nicht immer zum Ziel führen muss, verhehlte er aber nicht. „Ich bin Rechtsanwalt, da gewöhnt man sich an Niederlagen.“ Aktuell verteidigt Gysi u.a. Klima-Aktivisten, deren Engagement er schätzt.
Keine Lust auf Talkshows
Was den Angriffskrieg in der Ukraine betrifft, nennt er Putin als Aggressor und betont nicht – anders als einige seiner Parteifreunde – die angebliche Mitverantwortung des Westens. In der Meyerei positionierte er sich noch einmal klar für einen Waffenstillstand als Bedingung für Verhandlungen. „Ich denke politisch, nicht militärisch.“
Auf sein häufiges Auftreten in Talkshows angesprochen, gab er eine überraschende Antwort: „Talkshows können einem den Abend versauen.“ Er sei oft angespannt in den Sendungen. Dass er auch sehr flexibel sein kann, machte Gysi ebenfalls deutlich. Einmal habe er bei Günther Jauch gesessen – als einziger Gast der ursprünglich eingeladenen Runde. Der Inhalt, über den diskutiert werden sollte, war ebenfalls kurzfristig geändert worden. „Dem Gysi ist das Thema eh egal“, habe Jauch gesagt.
Repression und Freigeistigkeit
Gregor Gysi hat ein bewegtes Leben hinter sich. Das Private nahm den zweiten Teil des sehr kurzweiligen Abends ein. Gysi ist der Sohn des ehemaligen DDR-Kulturministers Klaus Gysi, seine Mutter war Abteilungsleiterin des Ministeriums. Die Literaturnobelpreisträgerin Doris Lessing war seine Tante. Repression und Freigeistigkeit – in Gysis Leben gab es beides. Er war einer der wenigen Rechtsanwälte in der DDR und verteidigte auch Systemkritiker und Ausreisewillige wie Robert Havemann, Rudolf Bahro, Jürgen Fuchs, Bärbel Bohley und Ulrike Poppe.
Gysi hat drei Kinder und war als junger Vater lange alleinerziehend. Seine Autobiografie ist zugleich ein Geschichtsbuch, das beide Deutschlands zum Inhalt hat.
Abschließend ging es um die Zumutungen im letzten Lebensdrittel. Gregor Gysi hat drei Herzinfarkte überstanden und ist danach kürzer getreten, mit der Politik ganz aufhören will er aber nicht. Sollte er wieder in den Bundestag gewählt werden, würde er Alterspräsident. Seine Antrittsrede wäre dann (den Statuten entsprechend) zeitlich nicht begrenzt. Er könnte theoretisch 48 Stunden sprechen, lächelte Gysi – ein Gedanke, der ihm offensichtlich gefiel.
Vor allem den Älteren unter den Gästen gab er noch einen Rat mit auf den Weg: „Hört auf über Krankheiten zu quatschen, gönnt euch lieber etwas.“
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