Profiler, Kriminalist und Autor Axel Petermann liest in der Buchhandlung „Seite Eins“
Von Claudia Kuiper
Fast schulterlange weiße Haare, breiter Schnauzbart, weiche Stimme und freundliche Augen: der 70-jährige Bremer ist ein bodenständiger und umgänglicher Mensch. In welche menschlichen Abgründe er sich hineindenken kann, blitzt erst später auf.
Nach Einladung des Kunst- und Kulturkreises Rastede (KKR) erklärte sich Axel Petermann bereit, gleich zweimal hintereinander aus seinen Büchern zu lesen. Da die 40 Karten für die Lesung an einem Freitagabend Anfang Juni im Vorverkauf schnell vergriffen waren, willigte der Bremer kurzerhand ein, um 17 Uhr einen zweiten Termin anzubieten, der vom Rasteder Publikum ebenfalls gut angenommen wurde.
Nach einem Willkommenswort von Annette Jungclaus vom KKR erzählt Petermann seinen Werdegang. Die Polizei schien ihm ursprünglich lediglich das kleinste Übel: nach 18 Monaten Bereitschaftspolizei musste man Ende der 1960er Jahre keinen Bundeswehrdienst mehr leisten. Um dem Wehrdienst zu entkommen, hätte er im geteilten Deutschland auch nach Berlin gehen können. „Das erschien mir aber viel zu weit weg von Bremen. Ich hätte auch konvertieren und Priester werden können“, sagt er augenzwinkernd. „Aber ich habe mich dann für die Bereitschaftspolizei entschieden und mich sogar für ein Jahr kasernieren lassen. Dafür gab es immerhin 500 D-Mark im Monat.“ Also wurde der junge Axel Petermann 1970 zu einer Hundertschaft eingezogen. Bei der Landespolizeischule bemerkte er sein Interesse für Themen des Strafrechts, sowie für die Kriminalistik, Aufklärung von Straftaten, Beweisführung und den Umgang mit Straftätern. Also strebte er den Weg zur Kriminalpolizei an. „Im Kommissariat in Bremen hatten wir damals mit 25 Kollegen ungefähr zwölf bis 15 Tötungsdelikte im Jahr. Dazu kamen viele Fälle mit ungeklärter Todesursache, bei denen wir ermittelt haben. Insgesamt habe ich wohl an über 1000 Fällen gearbeitet.“
Die Arbeit bei der Mordkommission beschreibt er als „prickelnde, erfüllende Aufgabe“. Doch irgendwann haben ihm die althergebrachten Methoden nicht mehr gereicht. „Die Motive der Täter haben mich interessiert. Es gab teilweise gleiche Handlungen von verschiedenen Tätern – da habe ich mich gefragt: Warum? Was sind die Bedürfnisse und Fantasien der Täter?“ Als ab 1999 das „Profiling“ in Deutschland Fuß fasste, ließ er sich zum „zertifizierten polizeilichen Fallanalytiker“ ausbilden. „Ich hatte das Glück, dass ich noch von so alten FBI-Haudegen unterrichtet wurde. Obwohl: deren Menschenbild war teilweise mehr als grenzwertig“, berichtet er. Als Pionier in der „Operativen Fallanalyse“ in Deutschland – so die offizielle Bezeichnung in Deutschland – wurde er zum Grübler und Ermittler. Damit machte er sich bei seinen Kolleginnen und Kollegen nicht immer beliebt. „Meine Ansätze waren ungewöhnlich. Ich habe gewartet, bis der Tatort zu mir spricht. Der Täter trifft ständig Entscheidungen während der Tat: wie er Verletzungen begeht, wie er tötet, wie er die Leiche ablegt. In diese Gedankenwelt bin ich abgetaucht.“ In diesen tiefen Abgrund zieht Petermann das Publikum mit hinunter, als er aus seinem True-Crime Thriller „Die Diagramme des Todes“ liest, den er zusammen mit Claus Cornelius Fischer geschrieben hat. Seine sonst so freundliche Märchenonkelstimme wird schneidend, als er aus Sicht des Serienmörders Robert Melzer dessen grausame Fantasien verrät. Dass es für den fiktiven Charakter im Buch ein reales Vorbild gibt, mit dem sich Petermann auseinandergesetzt hat, lässt ein besonders beklemmendes Gefühl zurück.
Nach der Pause liest Petermann eine typische Thriller-Szene, die in einem einsamen Parkhaus spielt. „Ist da jemand?“, donnert Petermanns Stimme durch die kleine Buchhandlung, und die Zuhörenden zucken zusammen. Nachdem das spätere Opfer den sadistisch veranlagten Täter mit der Gasmaske als einen Bekannten identifiziert hat, beendet Petermann den Textauszug. „Wenn Frauen eine Beziehung beenden, besteht für sie die größte Gefahr in ihrem Leben, Opfer eines Verbrechens zu werden“, so Petermann. „Für zurückgewiesene Männer kann es nicht hinnehmbar sein, wenn sie die Kontrolle über das Opfer verlieren.“ Ein positives Schlusswort findet Petermann trotz allem: „Es gibt wirklich sinnlose Gewalt. Aber insgesamt geht die Zahl der Tötungsdelikte zurück. Und wir sollten nicht vergessen, dass es in unserem Land sehr, sehr sicher ist.“
Zum Abschluss des Abends dankt Annette Jungclaus dem Autor für die zwei spannenden Lesungen. „Vielen Dank auch an Sarah Ring von der Buchhandlung Seite Eins für die Bereitstellung der Räumlichkeiten“, so Jungclaus. „Ich hoffe, wir dürfen noch einmal wiederkommen.“ Für Ring, die ihren eigenen Buchladen erst im letzten Jahr eröffnet hat, ist die Lesung die erste Veranstaltung in ihren Räumen. „Wegen Corona hatte ich noch nicht den Mut, selber etwas zu organisieren, aber es wird in Zukunft weitere Veranstaltungen geben“, verspricht sie.
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