Jon Flemming Olsen betört mit vielschichtigen Texten und eingängigen Melodien
Von Claudia Kuiper
Es riecht leicht nach Fahrradöl und Gummireifen; 70 Menschen klatschen begeistert zum stampfenden Rhythmus von Fußpercussions und Irischer Kastenhalslaute. Das kommt der „vollkommenen Enthemmung“, die der Mann auf der Bühne herstellen wollte, schon ziemlich nah.
Zweieinhalb Stunden vorher: Ab halb acht bildet sich auf dem Fußweg vor dem Eingang zur BIKEfactory eine lange Schlange, Impfzertifikate und Eintrittskarten werden kontrolliert. Der Verkaufsraum ist kaum wiederzuerkennen: Gastgeber Marco Haase und sein Team haben die Räder an die Seite gestellt und den Verkaufstresen zur Bar umfunktioniert. An der Stirnseite des Raums ist eine Bühne entstanden, vor der lange Stuhlreihen aufgestellt sind. Aus der der Werkstatt wurden Aufenthaltsraum und Backstage-Bereich. Das ungewöhnliche Ambiente versprüht einen modern-rustikalen Charme und zeugt von Mut und Experimentierfreude.
Pünktlich um 20 Uhr steht Gunter Zinkgraf vom Kunst- und Kulturkreis Rastede (KKR) auf der Bühne und läutet zur Begrüßung mit einer Fahrradklingel. Der KKR als Veranstalter wolle möglichst viele Menschen erreichen, und unter den aktuellen Corona-Regeln können in der BIKEfactory mit 70 Plätzen fast doppelt so viele Besucherinnen und Besucher Platz finden wie im Palais, erklärt Zinkgraf die ungewöhnliche Auswahl der Location.
Dann betritt Jon Flemming Olsen die Bühne. Der Star des Abends ist trotz Nr. 1-Hit und Teilnahme beim Eurovision Song Contest bodenständig und nahbar geblieben. Gleich mit seinem ersten Stück „Eine Tafel (von hier bis ans Ende der Welt)“ besingt er eine gesellschaftliche Utopie von Gemeinschaft, Zusammenhalt und Willkommenskultur. Olsen ist nicht nur ein erstklassiger Musiker, der als One-Man-Band ein abendfüllendes Programm auf die Bühne stellt, sondern auch ein feinsinniger Menschenkenner, der in seinen Texten humorvoll zum Nachdenken anregt.
Nach der Pause dreht Olsen noch einmal richtig auf, und das Rasteder Publikum singt lauthals mit beim Refrain von „Nee nee, ja ja“, in dem 20 der unverständlichsten Wörter aus der modernen Finanzwelt verballhornt werden. Dann kommt endlich die Irische Kastenhalslaute „Irish Bouzouka“ zum Einsatz. „Die ist leider ein bisschen dumm und kann nur ein Lied“, erklärt Olsen und erzählt eine hanebüchene Geschichte, wie vor vielen Jahren einige Iren mit einem Kanu nach Griechenland aufgebrochen sind und die ursprünglich griechische Bouzouka nach Irland gebracht haben. Damit ist der Grundstein gelegt für den Song „Alles wahr“, eine Persiflage auf Verschwörungsideen von Weltuntergang über Impfmythen bis zu jüdischer Weltverschwörung.
Schließlich kündigt Olsen das letzte Lied an, das seinen schmerzhaften Abschied von der Band „Texas Lightning“ beschreibt. Doch das Rasteder Publikum fordert noch drei Zugaben, bis das Licht wieder angeht und sich ein Abend dem Ende zuneigt, der wie von Jon Flemming Olsen angekündigt „balladesk, wild und ekstatisch“ war.
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