Die Distanz zwischen Mann und Frau als nicht ineinandergreifende Zahnräder; langbeinige Helmut-Newton-Models mit Silikonbusen; stilisierte Hochhäuser, die auf urbane Goldgräberstimmung verweisen: Der Berliner Künstler Volker Bartsch schöpft aus dem puren Leben. Heute wurde seine Ausstellung „Gemeinsam einsam“ im Palais Rastede eröffnet. Sie ist noch bis zum 10. April zu sehen.
Von Britta Lübbers
Helena ist hässlich. Sie hat wulstige Lippen und ein verformtes Gesicht. Die einst schönste Frau der Welt, die den trojanischen Krieg auslöste, wird bei Volker Bartsch zu einem der ersten Opfer der Schönheitschirurgie. Denn „korrigierende Eingriffe“ gab es bereits in der Antike, und auch dort, so lässt uns seine bronzene Helena erahnen, gelangen sie nicht immer. In seinem Werkzyklus „Fluch der Schönheit“ widmet sich Bartsch der Kehrseite langlebiger Attraktivität: Die von ihm geschaffenen Frauen haben Schlauchbootlippen, Monsterbrüste und verzerrte Züge. Bei einem Italienaufenthalt in Rom erlebte Bartsch schon vor rund 30 Jahren, dass junge Mädchen zum Abitur eine neue Nase geschenkt bekamen. Eine Steilvorlage für den Künstler, der seismografisch gesellschaftliche Trends und Umwälzungen wahrnimmt und verarbeitet.
Rund 60 Werke hat Volker Bartsch mit nach Rastede gebracht, darunter Gemälde, Grafiken und Gouachen. In der Plastik „Adam und Eva“ zeigt er das erste Menschenpaar als hochgerüstete Maschinenfiguren, deren Zahnräder nicht ineinander greifen. Mann und Frau waren schon im Paradies verschieden, teilt er uns mit. Sie sind aufeinander angewiesen, aber sie passen nicht unbedingt zueinander. Das drückt auch der Spalt aus, der luftschwer zwischen den beiden Hälften der Skulptur „Der Kuss“ klafft. Es ist die größte Arbeit dieser Schau, und Bartsch hat sie im Palaisgarten aufgebaut. In Sachen Größe ist er ein Meister. Rund 30 seiner monumentalen Skulpturen stehen im öffentlichen Raum, darunter das Kunstwerk „Perspektiven“ vor der FU in Berlin, das als größte Bronzeskulptur Europas gilt.
Groß ist auch der Bogen, den er inhaltlich schlägt. Die Einsamkeit des Einzelnen, die auch bewusst gewählt sein kann, beschäftigt den 62-Jährigen schon lange, ebenso wie Individualität und Narzissmus. „In den Siebzigern tanzten die Leute in den Discos alleine vor den Spiegeln“, erinnert sich Bartsch, der immer da war, wo das Leben spielte. Und manchmal auch das Sterben. Durch den Tod eines Freundes setzte sich Bartsch schon früh mit dem Thema Aids auseinander.
Zur Vernissage ist auch der Architekt Heinz Albers aus Wilhelmshaven gekommen. Der Freund des Künstlers vermittelte den Kontakt zum Palais. Er beschreibt Bartsch als einen „Schaffenden, der sich immer wieder neu erfindet“. Für den Bremer Kunsthistoriker Dr. Rainer Beßling, der die Laudatio hielt, vermag Bartsch gleichermaßen als Bildhauer, Maler und Grafiker zu überzeugen.
Dass Volker Bartsch für seine Kunst aus dem richtigen Leben schöpft, weiß auch seine Frau Annett Klingner. „Wegen der Helena hätten wir uns fast scheiden lassen“, erzählt die Kunsthistorikerin und lacht. Denn für die enganliegende Kopfbedeckung der Plastik hatte sich Bartsch – ungefragt – ihres Lieblingspullis bedient. „Die Struktur passte so gut“, lächelt er. Mann und Frau – es greift nicht immer ineinander.
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