Walter Kohl war gestern zu Gast in Rastede. Im Hof von Oldenburg sprach der Sohn des Ex-Kanzlers Helmut Kohl über sein Herzensthema: die gelingende Lebensgestaltung.
Von Britta Lübbers
Walter Kohl kommt von der Seite auf die Bühne. Für seine Körperfülle bewegt er sich erstaunlich geschmeidig. Er macht Scherze über seinen Pfälzer Dialekt, erzählt von seiner Oma aus Bremen und hat den Saal nach wenigen Minuten für sich eingenommen. Locker wirkt er, ehrlich, selbstironisch und humorvoll. Vor rund 14 Jahren wollte dieser selbstbewusste und offenkundig lebensfrohe Mann aus dem Leben scheiden. Die CDU-Spendenaffäre hatte die ganze Familie Kohl in Geiselhaft genommen, seine erste Ehe war gescheitert und dann brachte sich seine Mutter Hannelore um – „in meinem Jugendzimmer, in meinem Kinderbett“. Walter Kohl war am Ende. „Ich zerbrach“, sagt er heute. Er hat sich dann doch gegen den Selbstmord entschieden. Als er auf dem Tiefpunkt seiner Depression auf der Suche nach einem Kreuzworträtsel in einer Frauenzeitschrift blätterte, stieß er auf einen Text mit der Überschrift „Trotzdem ,Ja‘ zum Leben sagen.“ Dieser eigentlich banale Satz sei die Initialzündung für sein Umdenken gewesen. „Plötzlich wurde mir klar, dass ich mein Leben nur dann gestalten kann, wenn ich weiß, wofür ich lebe.“ Bis zu diesem Punkt sei er gelebt worden, mit knapp 40 Jahren habe er endlich selbst gelebt.
Drei Bücher hat Walter Kohl geschrieben, das letzte mit dem Titel „Was uns wirklich trägt. Über gelingendes Leben“ gemeinsam mit dem Benediktinerpater Anselm Grün. „Mit Pater Grün zu schreiben, das ist wie mit Bastian Schweinsteiger Fußball zu spielen“, schwärmt Kohl, der inzwischen auch ein „Zentrum für eigene Lebensgestaltung“ gegründet hat. „Kampf oder Flucht“ lautet das Motto. Walter Kohl ist entschieden gegen Flucht.
Er spricht den ganzen Abend frei, er läuft auf der Bühne auf und ab, wendet sich den Besuchern direkt zu, fragt sie nach ihren Namen, ihrem Beruf, ihrer Einschätzung zu Themen wie Freundschaft oder Geld. Dieser Mann da oben hat eine Mission, das wird sehr deutlich. Walter Kohl ist Unternehmer, gemeinsam mit seiner koreanischen Frau verkauft er Zulieferteile und Werkzeug an die Autoindustrie. Er müsste sich nicht auch noch der Lebensgestaltung anderer widmen. Dass er dies aus ehrlichem Antrieb tut, macht ihn und seine Botschaft glaubhaft. Das ist gut so, denn die Inhalte, die er transportiert, sind nicht neu. Man hat das alles irgendwie schon gehört, oft von zweifelhaften Bestsellerautoren, die sich auf den Zug aufschwangen, der vor rund 20 Jahren Fahrt aufgenommen hat. „Positiv denken“, „Scheitern als Chance“ und „Liebe dich selbst“, so oder ähnlich lauten die Botschaften, die geläuterte Reisende unters Volk bringen, so oder ähnlich drückt es auch Walter Kohl aus. Er zeigt Fotos einer Berglandschaft („klar sein, ein Ziel haben“), eines Kleinkindes („die Augen offen halten, neugierig bleiben“) eines alten Ehepaares („Menschen, die uns ein Leben lang begleiten“) und nimmt sie als Hintergrundfolie für seinen Exkurs darüber, „das eigene Leben in Freude zu gestalten“.
Wirklich eindringlich ist er da, wo er von sich ausgeht. Sein großes Vorbild sei Willy Brandt, denn der habe in eisigen Zeiten mit seiner Ostpolitik Mut und Menschlichkeit bewiesen. „Und wie wurde er dafür angefeindet von den Konservativen. Und später haben die, die am lautesten schimpften, mit ihm die Einheit gefeiert.“
Ganz still ist der Saal, als er vom Selbstmord Hannelore Kohls spricht. „Ich wollte denselben Weg gehen. Aber ich habe mich anders entschieden. Heute schreiben mir Menschen, dass sie durch meine Bücher vom Suizid abgehalten wurden.“ Dann gehe er auf den Friedhof zum Grab seiner Mutter. „Das haben wir gut gemacht, Mama, sage ich ihr.“
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