Annemarie von Häfen hat ein Buch über ihr Leben geschrieben und ihrer vom Krieg gezeichneten Generation eine Stimme gegeben. Schnörkellos berichtet sie vom harten Alltag zwischen Bombentrichtern und Neuanfang. Sie erzählt knapp, anschaulich und niemals weinerlich.
Von Britta Lübbers
Nein, von diesem Titel und dem hübschen Cover sollte man sich nicht täuschen lassen. „Die Blümchenwiese“ ist keine sentimentale Kindheitsrückschau. Im Gegenteil. Als die Autorin einmal von einer angehenden Psychologin gebeten wurde, sich eine bunte Wiese aus der Kinderzeit vorzustellen, erschien vor ihrem geistigen Auge kein Idyll. „Meine Wiese war damals hässlich, mit Maulwurfshügeln darauf. Ich wünschte mir eine schönere“, stellt sie fest. Dazu hatte sie allen Grund. Als sie fünf Jahre alt war, so ist im ersten Buchkapitel zu lesen, stand sie nicht zwischen Kornblumen und Mohn, sondern am Bahnhof vor der niederländischen Grenze. Hier, in Weener, war sie 1939 zur Welt gekommen. Jetzt hielt sie ihre jüngere Schwester an der Hand. Die Mädchen sahen einem langen Zug aus Holland hinterher. „Darin standen die Menschen dicht gedrängt. Niemand stieg aus. Auf den Bahnsteigen liefen Männer mit Gewehren auf und ab.“ Erst viel später wird sie wissen, was es mit diesem Todeszug auf sich hatte. Auch ihr Großvater war ins KZ verschleppt worden. Er galt als regimekritisch und wurde von einem Nachbarn denunziert. Noch als Kind wird Annemarie von Häfen selbst ein Opfer des Krieges. Am 23. April schossen deutsche Truppen von der Ems nach Holland und trafen versehentlich den Erdbunker, in dem Annemaries Familie Zuflucht gesucht hatte. Sie und ihre Schwester Mia wurden durch Munitionssplitter schwer verletzt. Ein Sanitätsfahrzeug brachte die beiden Kinder in das nächste Lazarett nach Meppen. Hier behandelte sie ein amerikanischer Arzt – obwohl sie aus Feindesland kamen, der Krieg war ja noch nicht vorüber. Jahrelang, so erzählt es die 75-Jährige heute, habe sie versucht, den Namen dieses Mannes herauszufinden, vergeblich. Ihre Schwester starb an der Verwundung, sie aber überlebte. „Ich wollte, dass er das weiß.“
Annemarie von Häfen, die seit 1969 in Rastede lebt, ist eine Kriegsversehrte, die Verletzungen prägen ihr Leben – bis heute. Aber sie stand immer wieder auf und machte weiter. Sie heiratete, wurde Mutter und engagierte sich ehrenamtlich in Kriegsopferverbänden. Sie kannte sich aus im Paragrafendschungel und gab anderen Kriegstraumatisierten Zuspruch und Mut. „Man muss zuhören können“, sagt sie. Das sei das Wichtigste. „Und man darf das Lachen nicht verlernen.“ Als Kind sei sie nicht gefragt worden, heute höre niemand mehr zu: „Deshalb habe ich das Buch geschrieben.“ Rund 25 Jahre lag das Manuskript in der Schublade. Sie hatte die mit zahlreichen Fotos versehenen Texte ursprünglich für ihre weit verstreute Familie verfasst. Die riet ihr nachdrücklich zur Veröffentlichung, auch ihr Vetter Johann, dem sie das Skript mitbrachte, als sie ihn in Kanada besuchte. „Sieh in der Blümchenwiese nach, da findest du unsere Familie“, hatte sie in einem beiliegenden Brief notiert. „Beim Lesen wirst du manchmal traurig sein, aber auch den Humor der Ostfriesen entdecken.“
Dieser oft sehr lakonische Witz verhindert jeden Anklang von Wehleidigkeit. Die vielen Alltagsbeschreibungen münden oft in eine Pointe. Etwa wenn Annemarie von Häfen den Unterricht an der Versehrten-Berufsfachschule Bad Pyrmont beschreibt. Studienrat Lohse, ein ehemaliger Landser, fragte den Schüler Nagel, was er über Goethe wisse. „Kolossaler Frauenverschleiß“, lautete die Antwort. „Da war der Bart ab“, konstatiert die Autorin.
Sie hat ihren Frieden gemacht mit ihrer Geschichte, nicht zuletzt durch das Aufschreiben. „Heute habe ich in Rastede eine große Wiese mit Blumen“, sagt sie. „Aber wehe, wenn ein Maulwurf vorbeikommt.“